Dissertationsprojekte

Dissertationsprojekt von Andreas Frei

Gibt es so etwas wie radikale Freiheit? Wie verhalten sich Freiheit und Subjektivität zueinander und wie könnte eine Theologie der Befreiung heute aussehen? Von derlei Fragen wird mein Dissertationsprojekt geleitet. Methodisch liesse sich mein Vorgehen mit Walter Benjamin als Tigersprungtaktik bezeichnen. Ich wende mich einem herausragenden philosophischen Entwurf der Gegenwart zu und vollziehe von dort einen „Tigersprung ins Vergangene“ (Benjamin) – zu den Anfängen der zweiten Phase der Befreiungstheologie. Inhaltlich bedeutet dies, dass ich mich zunächst Christoph Menkes (* 1958) Werk Theorie der Befreiung im Besonderen und seiner Philosophie der Befreiung im Allgemeinen zuwende, um sodann zu Enrique Dussel († 2023) und seinem Werk Philosophie der Befreiung zu springen. Warum gerade diese Konstellation? Mit seinem Werk Theorie der Befreiung (2022) hat Christoph Menke einen philosophischen Entwurf vorgelegt, der versucht, Befreiung radikal zu denken. Nach Menke ist Befreiung kein subjektiver Akt, sondern sie ereignet sich in einer Erfahrung der Faszination. Damit deutet Menke den Prozess der Befreiung als Widerfahrnis und begründet seine Idee der radikalen Freiheit im Zuge einer Ästhetik der Befreiung. Der Religion kommt dabei eine bedeutende Rolle zu. Enrique Dussel wiederum – Theologe, Philosoph und Historiker – hat mit Philosophie der Befreiung (1977) eine theoretische Grundlage für die Theologie der Befreiung geschaffen. Damit hob er die Befreiungstheologie auf eine neue Ebene, weg von eurozentrischen Diskursen, hin zu einer Theologie und Philosophie von der Peripherie her. Daher ist sein Entwurf für die Theologie der Befreiung von grundlegender Bedeutung. Das Ziel meiner Arbeit besteht darin, aus der Konstellation Menke-Dussel und Dussel-Menke Impulse für eine heutige Theologie der Befreiung zu gewinnen.

Betreuung: Prof. em. Dr. Magdalene L. Frettlöh, Prof. Dr. phil. Luca Di Blasi

Dissertationsprojekt von Luana Sara Hauenstein

Wenn eine argentinische queer-feministische Theologin davon spricht, «Theologie ohne Unterwäsche» in aller feministischen Ehrlichkeit zu treiben; wenn sie von Zitronenverkäuferinnen erzählt, die ohne Unterwäsche unter ihren langen Röcken Zitronen in den Strassen von Buenos Aires verkaufen; und wenn sie einen Bi-Christus entwirft, der sich sexuellen Normen entzieht, dann eröffnet das eine hochgradig ethisch-politische Auseinandersetzung mit einer schillernden und bewusst provokativen Theologin.

In meinem Dissertationsprojekt setze ich mich mit der Theologie Marcella Althaus-Reids (1952–2009) auseinander, deren Denken die Befreiungstheologie postkolonial, queer-feministisch und material-ethisch verschärft. Sie nimmt marginalisierte Menschen in den Blick und stellt sie in Beziehung zu Gottesbildern. Die Menschengruppen sind realer Teil von Althaus-Reids Kontexten und mehr als blosse Metaphern – sie sind vielmehr radikal material zu verstehen und werden selbst zum Ort theologischer Erkenntnis. Inspiriert von den menschlichen Erfahrungen in ihrer materialen Fülle bezieht Althaus-Reid eine auf Sexualität und Körperlichkeit ausgerichtete Perspektive auf Gott ein. Diese Perspektive umfasst auch Überlegungen zu Gender, sexuellen Identitäten, Machtverhältnissen usw. Mein Fokus gilt den ethischen Implikationen Althaus-Reids Gottes-, Menschen- und Körperbilder und wie diese für gegenwärtige Diskurse fruchtbar gemacht werden können. Um eine Übertragung von Althaus-Reids Gedanken in andere Kontexte zu ermöglichen, ist ausserdem eine Auseinandersetzung mit Althaus-Reids Kontexten und der Verbindung ihrer Person mit ihrer theologischen Existenz essenziell.

Betreuung: Prof. Dr. Mathias Wirth, Prof. em. Dr. Magdalene L. Frettlöh und Prof. Dr. Peter-Ben Smit

Dissertationsprojekt von Sandra Kunz

Das Promotionsprojekt geht von der These aus, dass sich in einer visuellen, „bildlastigen“ und zunehmend kirchenfernen bzw. kirchenentfremdeten Gesellschaft Kunst gegenüber theologischen Reden und theologischen Texten als eine attraktive(re) Verkünderin christlicher Inhalte erweist.

Der Solothurner Bildhauer Schang Hutter (1934 – 2021) und der Berner Pfarrer und Theopoet Kurt Marti (1921 – 2017) haben sich nicht gekannt bzw. sind sich nie bewusst begegnet. Zur Stützung obiger These wird im vorliegenden Projekt der Versuch unternommen, die Begegnung zwischen den beiden Kunstschaffenden (Marti soll in erster Linie als Poet und Schriftsteller gefasst werden) gewissermassen nachzuholen, indem ausgewählte Skulpturen Hutters mit erlesenen Gedichten Martis ins Gespräch gebracht werden. Stellvertretend für zwei umfassende Lebenswerke werden Oeuvres ausgewählt, welche Hutters Arbeitsmotto, das gleichzeitig der Titel dieses Projekts ist, exemplarisch zum Ausdruck bringen: „Der Verletzlichkeit Raum geben“. Im Sinne der Ausgangsvermutung steht die Begegnung an der Grenze verschiedener Disziplinen unter der Hypothese, repräsentativen Charakter zu haben.

Dieser Dialog zwischen dem Theopoeten und dem Bildhauer soll schliesslich in den Kontext der aktuellen systematisch- und praktisch-theologischen Vulnerabilitätsdebatte gestellt werden. Welche neuen Impulse  sind in diesem Umfeld von ihm zu erwarten? Welche neuen Vermittlungs-Stimuli können für die Theologie furchtbar gemacht werden?

Betreuung: Prof. em. Dr. Magdalene L. Frettlöh

Dissertationsprojekt von Tobias Zehnder

Der Neutestamentler Grant Macaskill schreibt 2019 über seine Forschung im Spektrum von Theologie und Autismus, er sei sich bewusst, «dass diese Arbeit zu einer Konversation beiträgt, die gerade erst begonnen hat und über die Grenzen [der Bibelforschung] hinweg beginnen muss». Ziel meiner Arbeit ist es, eine Grundlage für diesen Dialog auch im deutschsprachigen Raum zu schaffen und für das Thema und sein allgemeines Potential zu sensibilisieren.

Dabei möchte ich auch aufzeigen, dass Theologien des Autismus nicht nur für Autistinnen ein Gewinn sind. Die sinnlich-leibliche Wahrnehmung von Autistinnen kann – als Durchkreuzung einer sinnlich entfesselten Gegenwart – zu seiner gerade auch spirituellen Be-Sinnung beitragen und damit eine sinnen-volle Theologie bereichern. Anfragen an vertraute Begriffe wie Gemeinschaft, Heil/ung oder Beziehung helfen, eingespielte Denkmuster zu hinterfragen und neu zu gewichten. Damit leisten Theologien des Autismus wichtige Ergänzungen zu partizipativen Menschen- und Gottesbildern. Dies wiederum sensibilisiert für die Anerkennung von Differenz im Kontext einer diversen sowie kulturell vielfältigen (Kirchen-)Welt.

Betreuung: Prof. em. Dr. Magdalene L. FrettlöhProf. Dr. Frank Mathwig

Dissertationsprojekt von Lukas Gerber

Die Diakoniewissenschaft schenkt dem Thema der Ökonomisierung seit vielen Jahrzehnten große Aufmerksamkeit und bezeichnet sie als Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft (Haslinger). Hilfswerke, die in der Diakoniewissenschaft bislang nur selten als Forschungsobjekt berücksichtigt werden, können sich dieser Gesetzmäßigkeit nicht entziehen. So wird in der Fachliteratur moniert, dass NGOs ihre Professionalität stetig verbessert haben (Frantz/Martens). NGOs können nur auf Gelder hoffen, wenn ihre Arbeit als wirksam erachtet wird. Das führe wiederum zu einem unaufhörlichen Kreislauf: Um gegenüber anderen NGOs bestehen zu können, bedarf es qualitativer Lobbyarbeit, die gleichzeitig höhere Kosten verursacht.

Das Dissertationsprojekt nimmt die Frage in den Fokus, ob Hilfswerke unbeabsichtigt zur Ökonomisierung beitragen. Dabei wird die herkömmliche Fragestellung umgekehrt: Nicht mehr die Frage, ob Hilfswerke von Ökonomisierung betroffen sind, steht im Zentrum, sondern in welchem Ausmaß sie selbst aktiv zu diesem Prozess beitragen.

Das methodische Vorgehen der Arbeit basiert auf der Vierschrittmethode (Orientieren, Sehen, Urteilen, Handeln), die in der Diakoniewissenschaft, aber auch in anderen Wissenschaftsbereichen wie etwa in der Religionswissenschaft üblich ist. Am Beispiel der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) sowie der Ökumenischen Kampagne soll nach dieser These, ob Hilfswerke selbst zu einer Ökonomisierung beitragen, geforscht werden. Die tieferliegende Fragestellung lautet: Wie könnte eine Konzeption des Sozialen aussehen, die nicht zur Ökonomisierung des Sozialen führt, sondern eine Ökonomie für das Soziale fördert?

Dissertationsprojekt von Isabelle Knobel

Der Begriff der Intersektionalität greift auf, durch welche Identitätsmerkmale wir Benachteiligung oder Privilegien erleben, und wie sich diese Kategorien überschneiden und dadurch spezifische Diskriminierungserfahrungen entstehen. Das Ziel der Arbeit ist es, dieses machtsensible Konzept für die Diakonie fruchtbar zu machen. Kernstück der Arbeit ist die theoretische Verknüpfung von Diakonie und Intersektionalität und das Erarbeiten eines Modells einer intersektionalen Diakonie. Gerahmt wird die Arbeit durch einen Blick in die Praxis auf eine intersektional mehrfach benachteiligte Gruppe: Sexarbeiterinnen, welche oftmals Diskriminierung aufgrund ihres Berufs, ihres Geschlechts, ihres allfälligen Migrationshintergrundes etc. erleben. Biographische Beispiele werden dabei auf diese Erfahrungen hin untersucht, um diakonisch-ethische Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.


Die Dissertation soll hilfreiche Grundlagen schaffen, um Intersektionalität in diakonischer Praxis wahr- und ernst zu nehmen, um Diakonie machtsensibel zu gestalten, um eigene Positionierungen zu ermöglichen und um weitere Forschung in diesem Bereich anzuregen.

Dissertationsprojekt von Patrick Brand

Das Dissertationsprojekt untersucht, was die Ekklesiologie einer vorläufigen Kirche, wie sie Karl Barth in KD IV beschreibt, zu einer dynamischen Kirchenentwicklung unter zeitgenössischen soziologischen Bedingungen beitragen kann. In der gegenwärtigen kirchlichen Praxis und Kirchentheorie hemmen angesichts religionssoziologischer Veränderungen wie der Individualisierung und insbesondere dem Rückgang der Mitgliederzahlen oftmals Krisen- oder Untergangsnarrative die Entwicklung der Kirche. Vor dem Hintergrund einer vorläufigen Ekklesiologie frage ich daher danach, inwiefern die Kirche hoffnungsvoll und mit Vorfreude dynamisch ihrem eschatischen Ende entgegengehen kann, ohne sich dabei vor ihrem vorzeitigen Ende fürchten zu müssen. Meine These besteht darin, dass ein ekklesiologisches Selbstverständnis der Kirche als Interimsprovisorium dazu beitragen kann, mit gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen kirchlicher Existenz potenzialorientiert umzugehen. Zugleich entlastet eine solche Heuristik die Kirche von der Vorstellung, sich selbst ewig erhalten zu müssen.

Betreuung: Prof. em. Dr. Magdalene L. Frettlöh

Dissertationsprojekt von Chae Bin

Wer ist Christus für die koreanischen Frauen* in der europäischen Diaspora? Dieser Frage geht dieses Dissertationsprojekt nach. Es wird versucht, den kontextuellen Ort der Theologie so präzise wie möglich zu bestimmen, damit die Christologie für koreanische Frauen* in der Diaspora relevant wird und ihnen entsprechend artikuliert werden kann. Im Projekt wird nach der ältesten religiösen Tradition Koreas, dem koreanischen Schamanismus ‚Mugyo', geforscht, um dort die bereits vorhandenen, koreaeigenen religiösen Elemente als Ressource wiederzuentdecken und sie mit den christlichen zu versöhnen. Konkret wird die weibliche schamanistische Figur/Rolle ‚Mudang' reflektiert, um durch sie Christus neu zu verstehen.

Das Projekt bearbeitet ein systematisch-theologisches Thema der Christologie, indem es postkoloniale, feministische und multireligiöse Perspektiven anzunehmen versucht.

Betreuung: Prof. em. Dr. Magdalene L. Frettlöh